Potenzial für die Weiterentwicklung des Rettungswesens in Österreich nutzen

Wenn man SanitäterInnen, ÄrztInnen oder First Responder fragt, wo sie Potenzial für die Weiterentwicklung der Präklinik in Österreich sehen, fallen die Antworten wenig überraschend aus: höhere Ausbildungsstandards und bessere Fortbildungsmöglichkeiten, der Einsatz von SanitäterInnen mit Notfallkompetenzen für alle NotfallpatientInnen, der Ausbau der Maßnahmen zur Qualitätssicherung, eine Durchlässigkeit zwischen den Gesundheitsberufen und die Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung werden flächendeckend als erstes genannt.

Fünf Punkte zeigen, wie man unserer Meinung nach das vorhandene Potenzial für die Weiterentwicklung des Rettungswesen in Österreich innerhalb der bestehenden Rahmenbedingungen nutzen und ausbauen kann:

1. Standards der Aus- und Fortbildung heben

Ausbildungsstandards sind in Österreich mit 100 Stunden Theorie und 160 Stunden Praxis für RettungssanitäterInnen im internationalen Vergleich extrem gering. Während sich in allen entwickelten Ländern der Standard hin zu einer mindestens zwei- bis dreijährigen Ausbildung für MitarbeiterInnen von Rettungsorganisationen etabliert, ist eine dahingehende Entwicklung hierzulande nicht absehbar.

Mehr noch, auch dieses gesetzlich vorgegebene Stundenausmaß der Ausbildung unterliegt qualitativ keiner internen oder externen Prüfung, sodass Aus- und Fortbildungstandards rein praktisch gesehen von den Rettungsorganisationen selbst festgelegt werden. Eine Verbesserung und Vereinheitlichung von Qualitätsstandards in der Aus- und Fortbildung muss deshalb im Sinne einer qualitativ hochwertigen PatientInnenversorgung in ganz Österreich unbedingt angestrebt werden. Mittelfristig muss das Ziel lauten, die Ausbildung an internationale Standards anzupassen.

Hinzuzufügen ist, dass das Engagement, das wir sowohl von beruflichen als auch freiwilligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aller in Österreich anerkannten Rettungsorganisationen aus allen neun Bundesländern erleben dürfen, der verbreiteten Meinung deutlich widerspricht, dass man Ausbildungsstandards im Rettungsdienst möglichst niedrig halten müsse, um etablierte Rettungssysteme aufrecht erhalten zu können. Wir beobachten vielmehr die gegengesetzte Tendenz, dass sich besonders die engagierten und interessierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurückziehen, weil sie Standards in der Ausbildung und Qualität der präklinischen Versorgung als unzureichend empfinden und innerhalb der bestehenden Strukturen nicht länger bereit sind, ihre Lebenszeit zu investieren.

2. Klare Trennung von Krankentransporten und Rettungseinsätzen

Auch wenn die Bestrebungen der Rettungsorganisationen aus personeller und finanzieller Sicht durchaus nachvollziehbar sind, Krankentransporte und Rettungseinsätze strukturell nicht voneinander zu trennen, bereitet dies für die PatientInnenversorgung in beiden Bereichen enorme Nachteile: Einerseits können Fahrzeuge nicht einsatzspezifisch ausgerüstet werden (es ist eine anderer Ausstattung für den qualifizierten Krankentransport notwendig als für Rettungseinsätze), andererseits können sich MitarbeiterInnen nicht spezialisieren.

Der hybride „Sanitätseinsatz“, der sowohl den Krankentransport als auch den Rettungsdienst umspannt, bedingt nicht nur eine in allen Bereichen mittelmäßige Betreuung von PatientInnen, sondern auch einen Zufallsfaktor in der Qualität der Versorgung: Wer „Glück“ hat, bekommt ein hochqualifiziertes Team für einen Rettungseinsatz, alle anderen sind die vielfach in den Medien beklagten „tragischen Einzelschicksale“.

In einigen Regionen Österreichs hat sich bereits eine sowohl personelle als auch ausstattungsmäßige Trennung von Krankentransporten und Rettungseinsätzen etabliert und bewährt. Im Sinne aller Betroffenen ist ein unbedingtes Erfordernis.

3. Notfallkompetenz als Standardkompetenz im Rettungsdienst

Durch eine Trennung von Krankentransporten und dem Rettungsdienst kann auch der Forderung nach einer standardmäßigen Besetzung von Rettungsfahrzeugen mit NotfallsanitäterInnen (inkl. Kompetenz der Venenpunktion) Nachdruck vermittelt werden. NotfallpatientInnen können mit einer weitaus besseren Versorgung rechnen, wenn die entsprechende Versorgung bereits mit dem ersteintreffenden Rettungsfahrzeug beginnt und nicht erst mit dem Eintreffen eines Notarzteinsatzfahrzeugs.

Standardkompetenz im Rettungsdienst muss die Ausbildung zum Notfallsanitäter sein,  nicht die zum Rettungssanitäter. Im besonderen Maß trifft das auf die Person am Rettungsfahrzeug zu, die mit der PatientInnen-Betreuung betraut ist. Die Anzahl der RettungssanitäterInnen, die sich die Möglichkeit einer Ausbildung zum Notfallsanitäter wünschen, wird enorm unterschätzt. Hier liegt Potenzial, das für verhältnismäßig überschaubare Kosten einen großen Nutzen für die Bevölkerung hätte.

4. Berufsbild des Sanitäters etablieren

Die vorherrschenden Diskussion über einen drohenden Ärztemangel bietet die einmalige Chance, das Berufsbild des Sanitäters zu diskutieren und zu etablieren. Es gibt zahlreiche Tätigkeiten in der Präklinik und Primärversorgung, die nicht zwingend von Ärztinnen und Ärzten übernommen werden müssten und an fachgerecht ausgebildete SanitäterInnen delegiert werden könnten. Viele Ärzte, die in der Präklinik und Primärversorgung tätig sind, tragen eine solche Entwicklung mit, zumal ihre ärztlichen Kompetenzen bei einer Vielzahl an Einsätzen nicht zum Tragen kommen.

Gemeinsam mit einer Forderung nach der Durchlässigkeit innerhalb von Gesundheitsberufe ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt, das Berufsbild des Sanitäters zu formen und fix im System als anerkannter Gesundheitsberuf zu etablieren.

5. Qualitätssicherung

Alle oben genannten Punkte spielen in den Bereich einer Qualitätssicherung hinein. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist nicht nur ein klares Bekenntnis in der Form von Einrichtungen und Stellen innerhalb der Rettungsorganisationen und der zuständigen Landesregierungen, sondern auch die gezielte Förderung der Forschung im Bereich der Präklinik. Denn ohne eine unabhängige, faktenbasierte und durch Forschungsergebnisse gestützte Evidenz, wie es um die Qualität des österreichischen Rettungssystem steht, ist eine Weiterentwicklung unmöglich.

Abschließend sei noch gesagt, dass Investitionen in die Präklinik deutlich weniger Geld kosten, als sie dem Gesundheitssystem bringen. Das belegen Beispiele aus anderen Ländern. Dahingehend brauchen wir auch für Österreich dringend mehr Klarheit, ein Bekenntnis zu einer hochwertigen präklinischen Versorgung nach internationalen Standards und eine Bewusstseinsbildung in der breiten Öffentlichkeit und Politik.


Dieser Artikel ist als Beitrag des BVRD.at im 6. Tagungsband der ÖGERN: „Primärversorgung zwischen Medizin, Pflege und Rettungsdienst“ erschienen.
Kosten des Bandes: 25,- Euro. Bestellung via E-Mail an vorstand@oegern.at

Das gesamte Inhaltsverzeichnis des Tagungsbandes ist auf der Seite der ÖGERN abrufbar: www.oegern.at