PRESSEINFO zur „Wiener Notarzt-Misere“: BVRD.at begrüßt Aufwertung der Rettungs- und Notfallsanitäter

Aufwertung der Sanitäter

Ein akuter Notärzte-Mangel in Wien letzte Woche hat eine Öffentlichkeitswirksame Diskussion rund um die Versorgungssicherheit der Österreichischen Bevölkerung in medizinischen Notfällen entfacht (siehe z.B. NZZ.atdiePresse.at). Im Zuge dessen wurde von verschiedenen Fachleuten die Frage aufgeworfen, ob und inwiefern eine Aufwertung der Rettungs- und Notfallsanitäter ein überlastetes Notärzte-Systems entlasten kann und soll.
Als BVRD.at begrüßen wir das Ansinnen einer Aufwertung des Rettungs- und Notfallsanitäters und weisen gleichzeitig auf die Herausforderungen des Rettungswesens in Österreich hin.

In Österreich gibt es keine Notfallmediziner

Wer in Österreich einen Facharzt für Notfallmedizin sucht, sucht vergeblich. Denn anders als im gesamten anglo-amerikanischen Raum und in elf EU Staaten, ist die Notfallmedizin in Österreich kein klinisches Fach. Die Notarztausbildung umfasst hierzulande nach abgeschlossenem Turnus 60 Stunden. Wie alle Fachgebiete ist auch die Notfallmedizin durch den medizinischen Fortschritt spezifischer und komplexer geworden, dem ein einwöchiger Einführungskurs kaum Rechnung tragen kann.

„Das schlechte Ansehen der Präklinik und die fehlenden Perspektiven für Notärzte rühren auch daher, dass die Notfallmedizin in Österreich anders als in anderen Ländern kein medizinisches Fach ist. Deshalb wird in der Präklinik auch kaum geforscht.“

Neben all den in Medienberichten angesprochenen Faktoren, wie die verhältnismäßig schlechte Bezahlung und schwierige Arbeitsbedingungen, hat auch das Fehlen des Faches „Notfallmedizin“ Auswirkungen auf das Ansehen der Notärzte. All dies wirkt sich wenig überraschend auf alle anderen Bereiche und Tätigkeitsfelder der Präklinik aus.

Aufwertung dringend notwendig

Was in der Bevölkerung wenig bekannt ist: egal ob als Zivildiener, freiwilliger Mitarbeiter oder beruflicher Sanitäter, mit 100 Theorie- und 160 Praxisstunden gilt man in Österreich als ausgebildeter Rettungssanitäter. Notfallsanitäter absolvieren weitere 160 Stunden Theorie und 320 Stunden Praxis. Die höchste fachliche Qualifikation, die man im Rettungsdienst in Österreich erreichen kann (Notfallsanitäter mit Kompetenz Arzneimittellehre, Venenzugang und Infusion sowie Beatmung und Intubation), umfasst in Summe 940 Stunden. Mit diesem geringen Stundenausmaß bewegt man sich fernab jeder anerkannten Berufsausbildung.

„Die Ausbildung zum Rettungssanitäter umfasst in Österreich 260 Stunden, die zur Fußpflegerin zwei Jahre.“

Wie Patientenanwältin Siegrid Pilz in einem Ö1-Interview richtig feststellt, ist es „interessant“, dass hierzulande Notärzte Aufgaben erledigen, die anderswo gut ausgebildetes Rettungsfachpersonal übernimmt. Die eigenverantwortliche Versorgung von Notfallpatienten durch Notfallsanitäter ist international üblich. So sollten Notärzte besonders sorgsam für anspruchsvolle Notfälle vorgehalten werden. Pilz verweist auch auf die kurze Ausbildungsdauer in Österreich im Vergleich zu mehrjährigen Studien oder Berufsausbildungen in anderen Ländern.In der Tat hinkt Österreich hier im Ausbildungsstand den anderen westlichen Ländern weit hinterher. Zum Vergleich: In Deutschland dauert die Ausbildung zum Rettungssanitäter 520 Stunden. Die frühere zweijährige Berufsausbildung zum „Rettungsassistenten“ wurde jüngst aufgrund der steigenden Anforderungen an den Rettungsdienst durch eine dreijährige Notfallsanitäter-Ausbildung abgelöst. In der Schweiz wird man nach einer dreijährigen höheren Fachschule diplomierter Rettungssanitäter mit Kompetenzen von Intubation bis zur selbstständigen Verabreichung von Opiaten, die vom jeweiligen Ärztlichen Leiter freigegeben werden. In englischsprachigen Ländern Europas gibt es ein dreijähriges „Paramedics Science“ Studium mit Bachelor-Abschluss.Die Österreichische Bevölkerung erwartet sich trotz dieser geringen Ausbildungsstunden die gleiche hochwertige Versorgung und Professionalität wie es in anderen EU-Ländern üblich ist.

Differenzierter Einsatz von Kompetenzen

Aus den gesetzlichen Rahmenbedingungen ergibt sich die Auslegung eines differenzierten Einsatzgebietes für Rettungs- und Notfallsanitäter: Rettungssanitäter eigenen sich mit ihren Kompetenzen vornehmlich für den Krankentransport, Notfallsanitäter für den Rettungsdienst und die Notfallrettung (vgl. ÖGERN Stellungnahme „Differenzierter Einsatz von Sanitäterinnen und Sanitätern im österreichischen Rettungswesen„).Die tatsächlichen Einsatz- und Wirkungsbereiche der Rettungs- und Notfallsanitäter sind jedoch je nach Bundesland und Betreiberorganisation höchst unterschiedlich. So passiert es etwa nicht selten, dass rein mit Rettungssanitätern besetzte Fahrzeuge zu Notfallpatienten entsandt werden oder erfahrene Notfallsanitäter das Fahrzeug lenken, während weniger erfahrene Rettungssanitäter die Patientenversorgung während des Transports übernehmen.Auch der Einsatz der erworbenen Kompetenzen, die entsprechend ausgebildete Notfallsanitäter anwenden dürften, werden je nach Betreiberorganisation gesondert reglementiert, was dazu führt, dass sogar innerhalb eines Bundeslandes einheitliche Regelungen zu Befugnissen und Kompetenzen von Notfallsanitätern fehlen.Gemäß dem Stand der medizinischen Wissenschaft gäbe es seitens des Bundesministeriums zudem jederzeit die Möglichkeit, weitere Notfallkompetenzen per Verordnung zu definieren. Dies ist bislang jedoch noch nie erfolgt (vgl. auch ÖGERN Stellungnahme „Notarztknappheit spitzt sich zu„)

Die Zeiten und Anforderungen an die moderne Präklinik haben sich geändert

Das Österreichische Sanitätergesetz nimmt große Rücksicht auf die historisch gewachsenen Strukturen des Rettungswesens, das traditionell und in großem Maße auf ehrenamtlich erbrachten Leistungen von Freiwilligen beruht. Die Weiterentwicklung eines Berufsbildes für Sanitäterinnen und Sanitätern scheitert deshalb oft an der Frage, welcher Ausbildungsumfang Freiwilligen zumutbar ist.

„Der Umfang einer qualifizierten Ausbildung von Rettungs- und Notfallsanitätern darf nicht an der Frage der Freiwilligkeit gemessen werden. Sie muss fachlich begründet sein und das Wohl des Patienten als Maßstab haben.“

Vielmehr drängt sich unserer Meinung nach jedoch die Frage auf, ob sich ein modernes Rettungswesen leisten kann, auf Kosten der Patientinnen und Patienten entweder auf Professionalität zu verzichten oder Ressourcen für Tätigkeiten aufzuwenden, die von anderen Berufsgruppen durchgeführt werden können.

„Der BVRD.at bekennt sich zur Freiwilligkeit. Ebenso setzt er sich für die Professionalisierung des Rettungswesens und die Weiterentwicklung des Berufsbildes des Sanitäters ein. Angesichts des demografischen Wandels und des steigenden Aufkommens von Rettungs- und Krankentransporten wird es auch in Zukunft sowohl ehrenamtliche als auch hauptberufliche Sanitäterinnen und Sanitäter brauchen.“

Warum Paramedics Notärzte nicht ersetzen können

So verlockend die Idee auch scheinen mag ein Paramedic-System einzurichten, so falsch wäre sie zum jetzigen Zeitpunkt. Denn ohne das Fachverständnis der Notfallmedizin, das in Ländern mit Paramedics schon lange etabliert ist, hängt ein solches System in der Luft. Paramedics brauchen eine Basis, auf der sie stehen, einen kompetenten Bezugsrahmen in dem sie agieren.

„Paramedics ohne etabliertes Fach Notfallmedizin sind wie ein Apfel ohne Stamm. Sie hängen in der Luft ohne jeden Bezugsrahmen.“

Denn während Ärzte individuell und je nach Situation frei agieren können, sind Paramedics an Algorithmen und Richtlinien gebunden.Wer das berücksichtigt, sieht, wie die beiden Professionen Hand in Hand arbeiten und dabei jeglichen technologischen Fortschritt, z.B. im Sinne der telemedizinischen Möglichkeiten, nutzen können. Ein Paramedic arbeitet immer unter Anleitung eines medical advisors. Und genau hier sind echte Notfallmediziner gefragt.

„Als Bundesverband Rettungsdienst bekennen wir uns zum Notarzt-gestützten Rettungswesen. Das schließt die Aufwertung des Rettungs- und Notfallsanitäters nicht aus. Im Gegenteil, als Profis in ihren jeweiligen Wirkungsgebieten ergänzen sich Notärzte und Sanitäter perfekt.“

Eine gute präklinische Versorgung ist nicht lukrativ

Die Kosten des präklinischen Systems belaufen sich in Österreich auf 1-2% der klinischen Kosten. In anderen Ländern liegen sie bei ca. 8%. Eine qualitativ hochwertige präklinische Versorgung ist im Gegensatz zum Krankentransport kein lukratives Geschäft. Es obliegt der Kommune, die Versorgung von Notfallpatienten zu gewährleisten. Somit ist es letztlich eine gesellschaftliche und damit politische Entscheidung, wie viel uns die Versorgung von Menschen, die in Not geraten sind, wert ist, und welche Ansprüche man an das System stellt.

Aufwertung durch Wertschätzung

Die Präklinik braucht in Österreich dringend eine Aufwertung. Systemische Ansätze dafür sind:

  • die Etablierung neuer oder erweiterter Berufsbilder innerhalb des Sanitätswesens mit entsprechend umfangreicher Ausbildung und Ausstattung von Kompetenzen nach internationalen Standards
  • die Einführung des Faches der Notfallmedizin
  • die gegenseitige Wertschätzung in der Zusammenarbeit sowohl in der Präklinik als auch der Klinik
  • die Anerkennung der Sanitäter als wesentlicher Teil des Gesundheitswesens mit entsprechender organisationsübergreifender Vertretung und Registrierung als Gesundheitsberuf
  • die Etablierung des Rettungsdienstes als integrierter Teil des Gesundheitssystems
  • der differenzierte Einsatz von Rettungs- und Notfallsanitätern in ganz Österreich sowie eine einheitliche Regelung der Kompetenzen, die nach organisationsübergreifenden Qualitätsstandards flächendeckend in allen Bundesländern vollzogen wird

Und nicht zuletzt: Die Idee einer qualitativ hochwertigen präklinischen Notfallmedizin muss gelebt werden mit allen Berufsgruppen, die dazugehören.

„Wir treten für eine Aufwertung des Tätigkeitsprofils des Sanitäters unter Ausschüpfung der rechtlichen Möglichkeiten in Österreich ein. Ziel ist ein bundesweiter, flächendeckender, einheitlicher und qualitativ hochwertiger Standard in der Präklinik, der dem internationalen Vergleich standhält.“

Über den BVRD.at

Der BVRD.at versteht sich als organisationsübergreifende Plattform für alle im präklinischen Gesundheitsbereich Tätigen und engagiert sich für die Weiterentwicklung einer hochwertigen präklinischen Versorgung. Er setzt Aktivitäten zur fachlichen Förderung und organisationsübergreifenden Vernetzung von Sanitäterinnen und Sanitätern sowie anderer im präklinschen Bereich tätigen Personengruppen. Ziel ist es, eine gemeinsame Plattform zu schaffen, um Themen im Rettungsdienst anzusprechen und eine Interessensgemeinschaft zu etablieren.